Trainingslager in Köln: 25. bis 28. Juli 2002 - Story1 - von erpse
Liebes Tagebuch,
ich möchte dir heute von meinem Wochenende erzählen, das ich mit meinen 9
asozialsten Freunden verbracht habe. Alle von ihnen sind schon mit Mitte 20
hoffnungslos verloren, außerdem haben sie ihre Jugend verschwendet, ihre Seele
an Bier, Schnaps & Zigaretten und andere Rauchwaren verkauft, auf der
Hoheluftbrücke alte Omas mit ihrem nackten Schwanz erschreckt und bereits den
gesamten Hamburger Berg mit ihrer Asozialität vergiftet. Und jetzt auch Köln.
Und ich war mittendrin. Herrjemineeh. Eigentlich konnte ich doch gar nichts dafür...
Donnerstag, 16.31 Uhr. Rotz, Björn, Brandt und ich versuchen, den vor Gepäck
ächzenden Saxo, noch mit mehr Ballst zu füttern. Wir quetschen uns rein, wir
spüren harte Stangen und sonstiges Gelööde im Nacken, egal, wir müssen los.
Rotz: „Ey, wollen wir nicht mit dem Mercedes von Lutz fahren?“ Wir sind
schon quasi auf der Autobahn, wir schieben die erste TKKG-Kassette rein, singen
die Titelsong im Chor mit und entschließen uns: „Nein Rotz, wir fahren mit
diesem Quetschmobil.“ Und wir singen: „T-K-K-G! Whoow! T-K-K-G Whoow!
Tarzan, Karl und Klööö-hööö-ßchen...“ Brandt und ich öffnen das erste
Holsten, Prost! und dann noch mal alle: „Gabi hat den Tarzan liiiiiiiiiiiieeeb!“
Wenn man im Auftrag des Asozialen unterwegs ist, darf natürlich eine Sache
nicht fehlen: Asoziale Reiselektüre. Raus auf die Raststätte, rein in Laden,
und Brandt staunt nicht schlecht, als ihm 4 Euro für eine „Coupé“ abgeknüpft
werden. Vergeblich suchen wir nach Geschichten über den „Türkenvatter“...
Jeder blättert einmal kurz durch, seufzt und reicht das Heft weiter. Man wird
schließlich doch irgendwann erwachsen.
Nach dem vierten Bier, dass Brandt und ich teilen, fahren wir durch die 14.
Baustelle. Björn bekommt einen derben Aggro-Krampf und schnaubt: „Scheiße ey,
schon wieder so eine Autobahn!“ Trink, Brüderlein, trink...
Abends kommen wir in Köln an. Ich spüre meine Beine nicht mehr. Wir beziehen
Brandt’s Burg, seine Nachbarin (Sandra Woitalla?) steht schon auf der Matte
und entführt Brando in ihre Wohnung. Sie strahlt über das ganze Gesicht,
Jerome sei ja weg, endlich mal wieder Männerbesuch, sie würde sich freuen und
ihre Muschi würde jucken und außerdem hätte sie lange niemand mehr
gekrault...
Brandt der Scorer?
Wir baden in Coolness und Parfum und schnüren die Schuhe, das Friesenviertel
wartet. Ronno, die Rasenratte wird begrüßt, und nachdem ich den teuersten Döner
meines Lebens esse, führt uns jemand in eine dieser finsteren Kölner
Spelunken, in denen FC-Köln Fans sitzen und die selben Dialoge seit 30 Jahren
austauschen:
Der Tünn: „Und, wie isset?“
Werner Calmund: „Ach, hör auf...“
Der Tünn: „Ja, muss ja, nech?“
W.C.: „Ja,ja... Naaja, so isset, ne?“
D.T.: Naaja, jaja, man wird auch nicht jünger...“
W.C. „Nee… Ach hör auf...“
D.T.: „Naaja...“
W.C.: „Jaja, naaja, äähm, na ja, ja ach...naaja, ne?“
D.T. : „Ach hör auf...“
W.C.: „Neeee, hör auf. Naaaaaja, ach ja...
D.T.: „Ach ja, naaaja... Weeste was?
W.C.: „Ach hör auf, ne? Na wat jibt et denn?“
D.T.: „Trinke ma noch’n Köllllllsch und dann isset wie im Sejelflugzeusch!“
Apropos: Wir wollen Kölsch bestellen, es ist kurz vor 12. Kellner original: „Dat
jeht nischt mehr. Isset schon zu spät.“ Wir so original: „Hey, extra aus
Hamburg gekommen und so. Komm, so ein kleines Ründchen Kölsch geht doch noch,
oder?“
Eine Minute stehen sechs Gläser mit gelben Spüli auf unserem Tisch für 5 Euro
40. Ich geb ihm 10 und sach: „Machen wir 6?“ Er original: „Na, das ist ja
ein toller Tip...“ Ich so original: „Hey, ich kann dir auch noch’n guten
Tip geben wo man in Hamburg gut ausgehen kann...“ Er so original guckt doof
aus der Wäsche, wir stürzen das Palmolive runter und ziehen weiter. ROSE CLUB!
Gitarren-Garage-Punkrock-Klatsche für Konni! Wir bilden zu sechst die Hälfte
des Publikums, trinken noch ein paar Kölsch, swing the dance-legs und sind
irgendwann wieder draußen. Die Ronno-Crew zieht’s heim, Brando und ich sind
noch auf einen Joint bei dem mittlerweile heimgekehrten Jerome und seinen beiden
komplett egomanen Kampflesbos-Kollegen eingeladen.
Die eine trägt auf ihrem Arm ein Tattoo vor einer Frau, die in ihrem Schoß den
abgerissenen Kopf (!) einer anderen Frau (!!) hält. This is TOO bizarre for us.
Wir torkeln um 5 Uhr nach Hause.
Fünf Stunden Schlaf, beim Kamps ein Käsebrötchen und auf zum Fußball.
Kinderträume werden wahr als wir die Sportanlagen der Kölner Sporthochschule
bewundern. Kleinfeld-Fußball gegen Ronnos Kollegen und die Krüppelbrüder
Pfarr geben ihr Bestes. Nachdem wir anfangs ziemlich alt aussehen, kämpfen wir
und drehen das (Kastanien-) Blatt. Große Moral, Jungs!
Abends dann wieder asozial: Vor der Live Music Hall stehen 500 Alkis in einer
100 Meter langen Schlange, Freibier scheint Wunder zu wirken, bei mir wirkt die
Tüte Weingummi und die Dose Red Bull. Sie verleiht mir Flügel, zumindest
meinem Blutzuckerspiegel, ich will tanzen! Oh nein, wir gehen in „Das Ding“,
kein Dildo-Laden für Homosexuelle, sondern „Der Studentenclub im
Friesenviertel“. Aha...
Bacardi-Cola für ein Euro, also Augen zu, Mund auf und durch. Drinnen sind 40
Grad, man darf sich selber stempeln, Classic-Hits und klebriger Rumsirup, der
die Finger verklebt, aber angenehm süß schmeckt, wie Cola ohne Rum eben...
Ich treffe zufällig einen Freund aus Brasilien, er lernt meine asozialen
Freunde kennen und imitiert das ganze Pack im astreinen Hafenarbeiter-Slang:
„Schön aufn Frrrachter und dann schön Bierchen verhaften, näääch?“
Nicht schlecht der Kollege.
Brando, Romsen und ich treffen erneut die Rambo-Lesben, die uns in eine
Schwulenbar abschleppen. Die vielen Farben und der massive Plüsch dort lassen
mich denken, ich sei Johnny Depp in „Fear And Loathing...“ Langsam wird es
fahrlässig, der Kellner kommt, fünf Bier bitte!
Am Samstag kommen noch Saul und Olaf! Immerhin, wir sind eine kleine Gang. Am
Stadion erfüllen sich erneut Kindheitsträume, wir spielen auf wunderschönem
Rasen, bestellen Pizza, verschenken sie an kleine französische Kindern und
lassen sie, ohne das Wissen ihrer Eltern, Pepsi trinken. Die konnten Nachts
bestimmt nicht einschlafen. Wir sehen ein Spiel aus der „Bunten Liga“, dem
Pendant zu Freizeitliga. Alles arme Würstchen, die da mitspielen, ohne
Schulbildung und verdammt zum Fußballspielen. Einer schreit immer
„Abschluss!“ Aber die sind ja nicht doof, die haben doch kein Bock Haupt-
oder Real-, oder Volksschulabschluss zu machen, nur weil das ihr Trainer von
ihnen fordert...
Abends schön asozial wieder bis 12 Uhr Freibier im Prime Club absahnen. Björn
schaut seinem senilen Idol Ozzy Osbourne in seinem Haus auf MTV zu, wir dancen
ein bisschen und gucken dann „Jackass“. Ich treffe einen Freund aus
Brasilien im gegenüberliegenden „Rose Club“ und wir treffen, na klar, die tätowierte
Kampflesbe, die übrigens eine Kollegin von Romsen ist. Vorher streiten Rotz und
ich darüber, ob Homosexualität angeboren ist. Hätten wir mal die Lesbe fragen
sollen...
Wir sind alle müde, schleppen uns zur „Rohnburg“. Aliens in Schaum hampeln
vor dem Eingangstor und Olaf macht ein 19 (!) –jähriges Mädchen klar, das
uns alle (unfreiwillig) ihren zusammengeknödelten Black-Tanga zeigt, noch in
der Hose wohlgemerkt. Wir imitieren die besten Bud-Spencer-Schläge und
entschließen uns zur Rückkehr ins Bett. Brando, Romsen und ich gehen mit
unseren Marlboro-Lights ganz sozialistisch um – alles werden geteilt, haste
keine, nimm meine. Gute Nacht!
Den Sonntag erleben wir in diesem wunderschönen Schwimmbad am Stadion, Björn
spannert („Ich weiß, warum ich es in Schwimmbädern mag“), Rotz, Saul und
ich spielen das großartige 80er-Pop-Quiz „Nenne!“ und imitieren das gesamte
Jahrzehnt. Und wie wir so alle zusammen sitzen sehe, verspüre ich inneren
Frieden und bin glücklich mit meinen asozialen Freunden ein sehr cooles
Wochenende erlebt zu haben. Nächstes Jahr wieder, bidde!
erpse